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aktuelle reportage
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Blättern von Künstler zu Kanzler und König Signaturen für die Nachwelt 1. Das Goldene Buch der Stadt Osnabrück Die Stunden, die Elsbeth Witte in den Nächten vor dem 24. Oktober 1998 geschlafen hat, kann sie an ihren Fingern abzählen. Noch am Morgen vor dem Eintreffen der königlichen und fürstlichen Hoheiten aus halb Europa, die sich in Osnabrück und Münster zum Gedenken an den Westfälischen FriedensSchluß vor 350 Jahren versammeln sollten, mußte die ProtokollChefin die EinsatzZentrale der Polizei zur Ordnung rufen, nachdem sie um 4 Uhr das Rathaus verlassen hatte. Ihr war auf dem Heimweg ein Zelt aufgefallen, daß SicherheitsKräfte an einem Eingang der ansonsten hermetisch abgeschirmten Altstadt aufgestellt hatten, ohne sich vorher mit der ProtokollVerantwortlichen abzusprechen. Um fünf Uhr war das Zelt wieder abgebaut. Für Elsbeth Witte war auch diese knappe RuhePause um nochmal eine Stunde kürzer. Von den Strapazen dieses protokollarischen KraftAkts, des bisher größten im modernen Europa überhaupt, hat Elsbeth Witte sich längst erholt. Die Blumen sind verwelkt, die Reden verhallt. Geblieben sind Erinnerungen in Form von Schriften, Bildern und eine DoppelSeite im Goldenen Buch der Stadt Osnabrück mit den Signaturen von 17 Durchlauchten, Exellenzen, Eminenzen, Majestäten sowie je einem Staats-, Senats- und BundesPräsidenten. Unterschriften auf etwa 400 weiteren Seiten zeugen noch von vielen anderen protokollarischen Highlights zu Ehren hochrangiger Amts- und WürdenTräger. Die 20 Unterschriften vom 24. Oktober 1998 stehen im zweiten Goldenen Buch, das am Partner- und FreundschaftsVerträge sind im ersten Goldenen Buch der Stadt Osnabrück dokumentiert. Haarlem, Angers, das österreichische Gmünd, Greifswald noch zu DDR-Zeiten am 12. Februar 1988, Villa Real in Portugal, Evansville (USA), Twer, das offizielle Netz internationaler Kontakte umspannt auch Canakkale in der Türkei und Kwangmyong in Korea. Eröffnet wurde das Buch mit dem an mittelalterliche BuchdruckKunst erinnernden TitelBlatt am Neujahrstag dieses Jahrhunderts aber nicht mit Unterschriften. Eine Bestandsaufnahme, so etwas wie Osnabrück in Zahlen, füllt in feinster SütterlinSchrift die ersten Seiten. | ||
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Gestiftet hat es Senator August Haarmann "zur Wende des Jahrhunderts unserer guten Stadt
Osnabrück, damit vom Beginne des Jahres 1900 alle Jene, welche als Gäste der Stadt in deren
Mauern weilen, ihre Namen zum Gedenken auf den nachfolgenden Blättern verzeichnen, der
Bürgerschaft zur Ehre und den kommenden Geschlechtern zur Kunde", wie er auf einem
Vorblatt schrieb. 25.317 männliche und 25.092 weibliche Einwohner begleiteten in Osnabrücker den Wechsel ins | ||
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so zum "Treffen
anläßlich der fünfjährigen Wiederkehr der Gründung des SS-Sturmbanns III/24. SS-Standarte
Osnabrück". Darauf folgt, einige Seiten weiter, auch schon die "Wiedereröffnung nach dem
Zusammenbruch", die ebenfalls mit einer umfassenden Bestandsaufnahme eingeleitet
wird: Den 99.175 bzw. 107.081 (einschließlich Nahne und Hellern) Einwohnern des Jahres 1939 standen am 1. 5. 1945 noch 61.309 Einwohner gegenüber. Allein die 181 Luftminen, 24.904 Sprengbomben, 652.156 Brandbomben und 11.754 Flüssigkeitsbomben hatten 985 ZivilPersonen getötet, 852 schwer und 548 leicht verletzt. Von vorher 18.544 Gebäuden waren 4.051 völlig zerstört, 3.575 schwer und 1.863 mittelschwer beschädigt. Ergänzt werden die Zahlen mit einer Beschreibung von der Vernichtung wertvoller Baudenkmäler, von der Zerstörung der Innenstadt, Straßen, Brücken, Kanalisation, von den Auswirkungen auf Wirtschaft und Privatbesitz. Der Dokumentation des Kollapses folgt im Oktober 1948 die Kunde vom "Wiederaufbau des Rathauses", das am 13. April 1944 in Trümmer gelegt worden war, und der "besonderen Verpflichtung, es in seiner alten Gestalt wieder erstehen zu lassen". Nach fast 25jähriger Bauzeit war es 1512 im wesentlichen fertiggestellt worden und galt seitdem als letztes Großbauwerk der Spätgotik zumindest hier im Norden. Des Wiederaufbaus scheint sich Oberstadtdirektor Es ging wieder voran. In der "Erinnerungswoche an den Abschluß des Friedens 1948" trug sich der Rat ins Goldene Buch ein und gab es "damit für weitere Eintragungen frei". Als erste machten die Teilnehmer einer "Kabinettsitzung des niedersächsischen Staatsministeriums" am Bis berühmte Namen auftauchen, dauerte es noch einige Jahre. Erstmal zeichneten Anfang März 1951 der "enge Vorstand des deutschen Turnerbundes" sowie Mitte September 1953 Veranstalter und/oder Teilnehmer der "Endkämpfe um die deutsche Tennismeisterschaft". Dann aber, am Politiker und Staatsgrößen der ersten Garde machten ihre Aufwartung, darunter Erich Ollenhauer anläßlich einer SPD-Wahlkundgebung, Bundespräsident Heinrich Lübke "mit Gattin" zum 63. Deutschen Wandertag (1963), Konrad Adenauer im selben Jahr, der nur mit seinem Nachnamen und zudem etwas krakelig unterschrieb, Königinmutter Königin Elisabeth (1965), sechs Jahre später Prince Charles of Wales und mit ihm in den folgenden Jahren einige weitere Botschafter und Diplomaten aus dem englischen Königreich, die hier ihren britischen Soldaten einen Besuch abstatteten. Innenminister Hermann Höcherl kam 1965, gefolgt von den Bundeskanzlern Prof. Dr. Ludwig Erhard (1965), Kurt-Georg Kiesinger (1967), Willy Brandt (1972), Helmut Schmidt (1974) und Helmut Kohl (1984), wobei letzterer mit Willy Brandt und dem vormaligen Ministerpräsidenten und jetzigen Bundeskanzler Gerhard Schröder die unleserlichsten Tintenstriche zu Pergament brachte. Lothar de Maiziere kam, sah und schrieb, aber erst im November 1994 als Mitglied des Bundestags. Hans-Dietrich Genscher und Herbert Wehner (beide 1972) gaben sich die Ehre, dann, der 85. Deutsche Wandertag brachte ihn mit sich, Bundespräsident Dr. Richard von Weizsäcker (1985) sowie zwei Jahre vorher Amtskollege Carl Carstens. Noch höherer Besuch kam am Die Liste der Bundesminister, bundesdeutschen Ministerpräsidenten, Botschafter und geistlichen Würdenträger aus aller Herren Länder ist lang, umfaßt an die 400 mitunter klangvolle Namen. Apropo klangvoll, Künstler, Literaten, Philosophen kamen auch, der GeigenVirtuose Yehudi Menuhin beispielsweise. 1960 gab er ein Konzert in der Halle Gartlage. Zwei Jahre vorher wurde dem Schauspieler Mathias Wiemann die Justus-Möser-Medaille überreicht. In jüngerer Vergangenheit, am 11. Juni 1993, fand Hans-Magnus Enzensberger den Weg nach Osnabrück. Er nahm den Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis in Empfang, eine Zeremonie, die seit 1991 alle zwei Jahre verdiente GeistesGrößen nach Osnabrück holt, so auch Lew Kopelew 1991 und Miljenko Jergovic 1995. Mit dem Politiker, Priester und Dichter, Träger des Friedenspreises des deutschen Buchhandels, Ernesto Cardinal, kam 1995 ein weiterer Vertreter zeitgenössischer WeltLiteratur nach Osnabrück. Selten sind Gedanken, Wünsche, Botschaften, die eine Signatur begleiten. Der ersten Eintragung der NachkriegsZeit gaben die Verfasser die Hoffnung mit auf den Weg, die Narben der Zerstörung "mögen späteren Geschlechtern als Mahnung und Warnung dienen, sich allen Gewalten zum Trotz nie wieder einer Diktatur zu beugen, sondern das heilige Recht des freien Bürgers auf demokratische Selbstverwaltung über alles zu setzen." Im Gegensatz zu den Bundeskanzlern Brandt, Kohl und Schröder schrieb Xu Le-Yi, VizeGouverneur der Provinz Anhui, richtige chinesische SchriftZeichen: "Wir wünschen Osnabrück eine segensreiche Entwicklung. Möge sich die Zusammenarbeit und Freundschaft zwischen der Provinz Anhui und Niedersachsen und unseren Völkern vertiefen, die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Osnabrück und Anhui weiterhin positiv entwickeln." Bisher nicht übersetzt wurden dagegen die Zeilen, die die Botschafter des Königreichs Marokko in Arabisch und der Republik Usbekistan in Kyrillisch angemerkt haben. Versöhnliches setzte Schulamith Joari-Nussbaum, Cousine des Malers Felix Nussbaum, am Politisch vielleicht aktueller denn je, was BundesverkehrsMinister Dr. Ing. Hans Seebohm bereits am 20. September 1964 ins Goldene StadtBuch schrieb. Es gelte, "Geist und Bild der Heimat zu erhalten und in unserer Zeit stürmischer technischer Entwicklung neu zu gestalten." Einer hat sich auch mal beim Datum verschrieben und korrigiert: von Kühlmann-Stumm, FDP-FraktionsVorsitzender des Bundestags, der sich im Juni 1967 schon im Juli glaubte. Zur Unterschrift gebeten werden, laut Beschluß vom 15. September 1971, Bundespräsidenten, Präsidenten und Vizepräsidenten des deutschen Bundestags, FraktionsVorsitzende desselben, LänderPräsidenten, Mitglieder von Bundes- und LänderRegierungen, in der BRD akkreditierte Botschafter, ausländische Staatsoberhäupter, Mitglieder ausländischer Regierungen. Sonstige Persönlichkeiten bedürfen von Fall zu Fall der Abstimmung zwischen Oberbürgermeister und Stadtdirektor. Bemühen müssen sich die signaturwürdigen Herrschaften in der Regel in den FriedensSaal des Rathauses. Zweimal kamen die fast 20 Kilo schweren Wälzer auch zum Gast. Vor den Augen einiger Tausend Menschen schrieb sich der Papst auf dem Domplatz ein. Für damalige Verhältnisse ziemlich weit wurde das Buch einem anderen Gast sogar hinterhergeschickt. Lohn der Mühe: die erste Signatur eines echten PolitPromis. Johannes von Miquel, preußischer Staatsminister, ehemaliger Oberbürgermeister und Ehrenbürger von Osnabrück, am 11. Mai 1901 in Berlin trocknete die Tinte, mit der er seinen Namen geschrieben hatte. Nicht nur den Transport, auch die Jahre hat das Goldene Buch gut überstanden, wenngleich der Zahn der Zeit und des regen Gebrauchs an der Heftung deutliche NageSpuren hinterlassen hat. Mit fast einem halben Meter Höhe stellen die mit rotbraunem Leder bezogenen HolzDeckel jedes TelefonBuch einer Großstadt locker in den Schatten. JugendstilOrnamente zieren die üppigen SilberBeschläge. Das Goldene am Golden Buch, der Schnitt, betont auch die handwerkliche Kostbarkeit. Dem alten steht das neue auch in dieser Hinsicht nicht nach. Gearbeitet und gestiftet von Goldschmied Wolfgang Grändorf und Buchbinder Günter Thomas übertrifft es das alte in seinen Ausmaßen. Die Zierbeschläge sind dagegen schlichter, moderner gehalten. Als ProtokollChefin hält Elsbeth Witte weit mehr als die Goldenen Bücher unter ihren AmtsFittichen. Die Eintragungen im Golden Buch sind nur Miniszenen der Gastspiele, bei denen sie Regie geführt hat, was wörtlich zu verstehen ist, werden vor Empfängen größerer Gesellschaften regelrecht RegieBücher geschrieben. | ||
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FingerspitzenGefühl und diplomatisches Geschick, sagt sie,
erfordere die Aufgabe, die sie vor sieben Jahren übernahm, in die sich die frühere
VerwaltungsAngestellte im StraßenverkehrsAmt mit Fleiß und Ausdauer einarbeitete.
Allein beim Festlegen der SitzOrdnung, wenn Delegationen zum FestEssen geladen werden,
seien Etiketten zu wahren, Eitelkeiten zu berücksichtigen. Elsbeth Witte beherrscht ihr
Fach, hält sich im Hintergrund und reichlich Regenschirme griffbereit, auch wenn seit
Tagen die Sonne scheint. Spätestens beim KönigsTreffen hat sie ihr protokollarisches
MeisterWerk abgeliefert. | ||
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0. Inhalt 2. Gäste in Büchern der Hotels 3. Auch Jugendherbergen führen gastlich buch | ||
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